02.07.2020
Source Code für Software im Insolvenzfall sicher hinterlegen
Durch die Coronakrise ist in Deutschland mit einem Anstieg der Insolvenzanmeldungen um ca. 20% zu rechnen. Dies betrifft auch und besonders die Softwareentwicklung. Sofern ein Unternehmen Software anbietet und ein Kunde diese nutzt, besteht im Falle einer Insolvenz das Risiko, dass das Vermögen, einschließlich der Software bzw. der Rechte am Source Code, in die Insolvenzmasse des Unternehmens übergehen (vgl. § 80 InsO) und der Kunde die Software dann nicht mehr nutzen kann. Dadurch sind etwa keine Wartung und Pflege sowie keine Weiterentwicklung der Software mehr möglich.
Außerdem besteht unter Umständen keine Zugangsmöglichkeit mehr zur Software, wenn diese auf Servern des insolventen Unternehmens gespeichert ist (wie bei SaaS-Lösungen). In diesem Blogbeitrag wollen wir daher klären: Wie hinterlegt man Source Code so, dass man ihn als Kunde eines Softwareentwicklers auch im Falle der Insolvenz weiterhin nutzen kann?
Wie sieht der rechtliche Rahmen aus?
Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BGH)
Der rechtliche Rahmen in Deutschland für solche Fälle wird maßgeblich durch ein Urteil des BGH bestimmt (Urt. v. 17.11.2005 – IX ZR 162/04). Darin hat der BGH entschieden, dass die aufschiebend bedingte Übertragung eines Nutzungsrechts in eng begrenzten Fällen zulässig und insolvenzfest ist. Hat vor Insolvenzeröffnung – wenngleich aufschiebend bedingt – ein dinglicher Rechtsübergang stattgefunden, kann der Insolvenzverwalter diesen nicht mehr dadurch verhindern, dass er die Nichterfüllung des zu Grunde liegenden Vertrags wählt. Ansonsten gibt es jedoch bisher noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu dem Fragenkomplex und einige Details sind nach wie vor nicht abschließend geklärt. Erschwerend kommt hinzu, dass durchaus vorhandene gesetzgeberische Reformbestrebungen für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt wurden.
Rechtliche Erwägungen ausgehend vom Urteil
Aussonderungsfähig und insolvenzfest sind grundsätzlich nur dingliche Rechte. Es war und ist jedoch nicht unumstritten, ob bzw. in welchen Fällen auch ein einfaches Nutzungsrecht im Sinne des § 31 UrhG eine solche Rechtsposition vermitteln kann. Den dinglichen Charakter des ausschließlichen und des einfachen Nutzungsrechtes hat der BGH zwar inzwischen in der Reifen-Progressiv-Entscheidung für einfache Nutzungsrechtseinräumungen festgestellt (Urt. v. 26.03.2009 – I ZR 153/06). Es fehlt jedoch an Rechtsprechung des BGH speziell zu entsprechenden Fällen mit Insolvenzbezug. Ziel der Überlegung zur Sicherung des Source Code soll es daher nach der wohl herrschenden Meinung sein, den Einfluss des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO auf den Rechtserwerb zu verhindern. Dazu muss die bedingte Übertragung eines einfachen Nutzungsrechts insbesondere durch folgende Aspekte möglichst kaufähnlich gestaltet werden (jeweils nach Übertragung):
- zeitlich unbegrenzte Nutzung;
- weitgehende Rechteeinräumung (insbesondere Recht zur Weiterentwicklung, Veränderung, Vervielfältigung, Vertrieb und sonstige Verwertung der Software);
- keine gegenüber dem Softwareentwickler zu entrichtenden Lizenzgebühren;
- keine weiteren Wartungs- und Pflegepflichten des Softwareentwicklers.
Wie muss der Vertrag zur Hinterlegung gestaltet werden?
Als (a) Bedingung für die Übertragung des Nutzungsrechts sollte die Ausübung eines außerordentlichen Kündigungsrechts im Falle einer Insolvenz und nicht die Insolvenz selbst festgelegt werden. Wenn insolvenzfest vereinbart wird, die Ausübung eines Kündigungsrechts sei die aufschiebende Bedingung für einen Rechtsübergang, scheitert dieser nach der BGH-Rechtsprechung nicht daran, dass er vom Willen des Berechtigten abhängt. Zudem sollten eine geeignete (b) Hinterlegungsstelle gewählt und die Modalitäten zur Hinterlegung geregelt werden. Da der Lizenznehmer bis zum Insolvenzfall keinen Zugriff auf den Source Code erhalten soll, sollte eine entsprechende (c) Verifikation des Source Codes durch die Hinterlegungsstelle erfolgen. Außerdem sollte vertraglich geregelt sein, dass eine ständige (d) Aktualisierung des Source Code erfolgt und er so auf dem neuesten Stand hinterlegt ist. Natürlich müssen auch die Modalitäten für die (e) Herausgabe klar geregelt werden. Schließlich muss auch klar sein, welchen Umfang die (f) aufschiebend bedingte Übertragung des Nutzungsrechts für den Lizenznehmer und die Hinterlegungsstelle hat; dabei gilt: je kaufähnlicher die Übertragung gestaltet ist, desto insolvenzfester ist sie. Zuletzt muss auch die (g) Kostentragungspflicht für die Hinterlegung festgelegt werden.
Warum ist eine notarielle Hinterlegung zu bevorzugen?
Eine Hinterlegung bei einer sogenannten Escrow-Agentur ist problematisch, denn wenn der Insolvenzfall eingetreten ist, könnte der Insolvenzverwalter einen Herausgabeanspruch geltend machen und der Source Code fällt in die Insolvenzmasse. Darum ist die notarielle Hinterlegung vorzugswürdig. Bei dieser besteht aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Verwahrungsverhältnisses nach §§ 23, 24 BNotO ein Recht zum Besitz aufgrund notarieller Widmung. Dieses vermittelt eine stärkere Rechtsposition als eine bloße schuldrechtliche Vereinbarung wie bei einer Escrow-Agentur.
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Wie läuft eine insolvenzfeste Hinterlegung ab?
Die insolvenzfeste Hinterlegung beginnt mit dem Abschluss eines Rahmenvertrages zwischen dem Unternehmen und dem Kunden mit der Verpflichtung, den ständig aktualisierten Source Code bei einer Hinterlegungsstelle zu hinterlegen. Dabei erhält die Hinterlegungsstelle kein Nutzungsrecht, sondern lediglich ein Verwahrungs- und Herausgaberecht. Der Kunde hingegen erhält unter der Bedingung der Ausübung des Sonderkündigungsrechts ein Herausgabe- und (weitgehendes) Nutzungsrecht. Ohne den Bedingungseintritt besteht seitens des Kunden kein Zugriffsrecht und auch keine Zugriffsmöglichkeit. Sobald der Kunde im Insolvenzfall von seinem Sonderkündigungsrecht Gebrauch macht, prüft die Hinterlegungsstelle den Bedingungseintritt und gibt den Source Code in seiner neusten Version an den Lizenznehmer heraus. Dieser kann dann von dem Nutzungsrecht weiter Gebrauch machen.
Handlungsempfehlung und Ausblick
Im Bereich der Softwareentwicklung sollte sich auf jeden Fall auf einen Insolvenzfall vorbereitet werden. Dabei muss auf einen angemessenen Interessenausgleich zwischen dem Lizenzgeber und dem Lizenznehmer geachtet werden. Um das Insolvenzrisiko zu reduzieren, sollten daher von Anfang an insolvenzfeste Verträge aufgesetzt werden, bei denen auch auf die Besonderheiten des Urheberrechts und des Insolvenzrechts geachtet werden muss. Schließlich kommt es auch maßgeblich auf die Wahl einer geeigneten Hinterlegungsstelle an.
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