29.05.2020
Einsichtnahme durch Arbeitgeber in nicht als „privat“ gekennzeichnete Dateien
Mit einem neueren Urteil hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass ein Arbeitgeber unter gewissen Voraussetzungen berechtigtet ist, nicht als „privat“ gekennzeichnete Daten seines Arbeitnehmers einzusehen und diese in einem anschließenden Kündigungsverfahren gegen ihn verwenden darf.
In einem Kündigungsrechtsstreit dürfen Daten gegen den Arbeitnehmer grundsätzlich verwendet werden, wenn der Arbeitgeber diese Erkenntnisse im Einklang mit den einschlägigen datenschutzrechtlichen Vorschriften erlangt hat. Gerade mit Blick auf den Arbeitnehmerdatenschutz ist dieses Urteil von großer Bedeutung, denn die Einsichtnahme in die Daten auf dem Dienstrechner ist mitunter ohne einen begründeten Verdacht einer Pflichtverletzung des Arbeitnehmers zulässig.
Das Bundesarbeitsgericht hat mit dem Urteil vom 31. Januar 2019 (2 AZR 426/18) entschieden, dass ein Arbeitgeber auf den auch privat genutzten dienstlichen Laptop Einsicht in nicht als „privat“ gekennzeichnete Dateien nehmen darf. Die Einsichtnahme in auf einem Dienstrechner des Arbeitnehmers gespeicherte und nicht als „privat“ gekennzeichnete Dateien setze nicht zwingend einen durch Tatsachen begründeten Verdacht einer Pflichtverletzung voraus und die in diesem Zuge erfolgte Datenverarbeitung war somit zulässig.
Zum Sachverhalt
Hintergrund der gerichtlichen Auseinandersetzung war folgender: Der langjährig bei der Beklagten beschäftige Kläger hatte von dieser einen PKW nebst Tankkarte auch zur privaten Nutzung zur Verfügung gestellt bekommen. Nach Angaben der Beklagten als Herstellern des Fahrzeugs wies der Kraftstofftank des Wagens ein Volumen von 93 Litern auf.
Um zu überprüfen, ob der Kläger Audit-Berichte unerlaubt an Dritte weitergeben hatte, sollte sein Dienst-Laptop untersucht werden. Der Kläger kooperierte und gab seinen Rechner samt Passwörtern heraus. Kurze Zeit später wandte er sich an die Mitarbeiter der internen Revision der Beklagten und teilte diesen mit, dass sich auf dem Dienst-Laptop einige, von ihm näher bezeichnete privaten Dateien befinden würden. Die Beklagte lies sodann eine Kopie der Festplatte des Laptops computerforensisch begutachten. Bei der Untersuchung fand die Beklagte eine nicht als privat gekennzeichnete Datei „Tankbelege.xls“, welche eine Aufstellung, über die vom Kläger mit der Tankkarte durchgeführten Betankungen, enthielt. Aus Sicht der Beklagten ergab sich nach den dort erfassten Kraftstoffmengen, den Tankdaten und den recherchierten Betankungsorten, dass zumindest der dringende Verdacht besteht, der Kläger habe auf ihre Kosten nicht nur sein Dienstfahrzeug betankt. Die Beklagte kündigte zunächst außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Der Kläger wendete sich hiergegen mit einer Kündigungsschutzklage.
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Entscheidung des BAG
Das BAG wies die Klage im Ergebnis als unbegründet ab. Ein Verwertungsverbot zugunsten des Arbeitnehmers aufgrund der Erkenntnisse aus der Auswertung der Mitarbeiterdaten besteht jedenfalls dann nicht, wenn der Arbeitgeber die betreffende Erkenntnis oder das fragliche Beweismittel im Einklang mit den einschlägigen datenschutzrechtlichen Vorschriften erlangt hat.
Personenbezogene Daten eines Mitarbeiters dürfen für Zwecke des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich dann verwendet und durch den Arbeitgeber genutzt werden, wenn dies für die Durchführung oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses erforderlich ist. Sofern der Verdacht einer Pflichtverletzung besteht und es sich um zulässig erhobene Daten handelt, können diese Daten unter gewissen Voraussetzungen auch in einem Kündigungsverfahren gegen den Arbeitnehmer verwendet werden. Laut dem Urteil des BAG war die Beklagte somit berechtigt, die Inhalte der Datei „Tankbelege.xls“ zu verwerten. Das Urteil ist daher auch im Hinblick auf die nunmehr seit zwei Jahren geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen gemäß der DSGVO und des BDSG von großer Bedeutung.
Verhältnismäßigkeit und Interessenabwägung
Erforderlich ist laut BAG zudem die Anwendung des sogenannten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowie eine Interessenabwägung. Die Verarbeitung von personenbezogenen Daten muss grundsätzlich erforderlich sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Hierbei darf diese für den Arbeitnehmer jedoch keine übermäßige Belastung darstellen, andernfalls ist die Verarbeitung nicht verhältnismäßig.
Bei der Interessenabwägung stellt die „berechtigte Privatheitserwartung“ einen wichtigen Faktor dar. Arbeitnehmer dürfen in der Regel erwarten, dass besonders eingriffsintensive Maßnahmen nicht ohne einen durch Tatsachen begründeten Verdacht ergriffen werden. Hierbei handelt es sich vorwiegend um Straftaten oder schwere Pflichtverletzungen. Weniger intensive Maßnahmen, die in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers eingreifen bzw. Datenverarbeitungen welche § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG aF betreffen, können auch ohne das Vorliegen eines durch Tatsachen begründeten Anfangsverdachts erlaubt sein. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Maßnahmen offen erfolgen und der Arbeitnehmer im Vorfeld darauf hingewiesen worden ist, insbesondere welche legitimen Gründe eine Einsichtnahme in (vermeintlich) dienstliche Ordner und Dateien erfordern können. Der Arbeitnehmer hat hierbei die Möglichkeit durch eine „private“ Kennzeichnung diese Dateien von einer entsprechenden Einsichtnahme auszuschließen.
Einsichtnahme ohne Betriebsrat und Datenschutzbeauftragen möglich?
Interessant ist, dass eine Einsichtnahme in die Datei ohne Heranziehung eines Mitglieds des Betriebsrates oder des Datenschutzbeauftragten möglich war. Dies würde laut BAG kein milderes Mittel darstellen, denn die Möglichkeit, die Datenerhebung ganz abzuwenden oder diese „abzuschwächen“ hätte dadurch nicht bestanden.
Ebenfalls musste die Untersuchung nicht im Beisein des Klägers erfolgen. Die Beklagte durfte annehmen, dass es sich bei der Datei „Tankbelege.xls“ nicht um eine private Datei handelte, da der Kläger zuvor andere Dateien als „privat“ angegeben hatte. Eine Einsichtnahme ist gerade dann nicht als eingriffsintensiv einzustufen, wenn sich das Nichtverarbeitungsinteresse des Klägers in einer Abwägung gegen das Verarbeitungsinteresse der Beklagten nicht durchsetzen kann. Maßgeblich war insoweit, dass der Kläger informiert wurde, dass die gesamte Festplatte des Dienst-Laptops einer computerforensischen Analyse unterzogen werden sollte und die Untersuchung offen durchgeführt wurde. Der Kläger hat hierbei kooperiert und in diesem Bewusstsein sodann bestimmte Daten gegenüber der internen Revision als „privat“ benannt. Der Arbeitgeber durfte hiernach davon ausgehen, dass die Übrigen, von dem Kläger nicht angeführten Daten für eine Einsichtnahme „bestimmt“ waren. Es geht nicht zulasten des Arbeitgebers, wenn der Arbeitnehmer vergisst eine gewisse Datei als „privat“ zu benennen oder sich aus den Umständen nicht ergibt, dass es sich offensichtlich um private Dateien handelt.
Ergebnis
Das Urteil des BAG ist grundsätzlich auch auf andere Konstellationen anwendbar, sofern die jeweiligen Voraussetzungen vorliegen. Daten in einem Kündigungsstreit dürfen immer dann gegen den Arbeitnehmer verwendet werden, wenn der Arbeitgeber die Erkenntnisse im Einklang mit den einschlägigen datenschutzrechtlichen Vorschriften erlangt. Die Auswertung der in dem vorliegenden Streitfall benannten Datei sei laut BAG angesichts der geringen Eingriffsintensität datenschutzrechtlich sowohl nach § 32 Abs. 1 BDSG a.F. als auch nach aktuellem Datenschutzrecht zulässig gewesen. Zu beachten ist jedoch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die Durchführung einer Interessenabwägung. Die Einbeziehung des Betriebsrates oder des Datenschutzbeauftragen ist nicht immer zwingend erforderlich. Zu beachten ist allerdings, dass das Urteil des BAG zwar als eine Art Leitlinie angesehen werden kann, dieses Ergebnis letztendlich aber für jedes personenbezogene Daten und jeden Streitfall grundsätzlich gesondert beurteilt werden muss. Im Zweifel ist daher eine entsprechende Beratung erforderlich.
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